Es ist Sommer, Urlaubszeit! Auch ich schalte jetzt mal ein bisschen ab – und erinnere mich dabei gerne daran, wie ich auf dem Jakobsweg pilgern war. Schöneren Urlaub als auf dem Camino de Santiago gibt es doch fast gar nicht. Diese Woche lest ihr unter dem Tag „Jakobsweg“ eine Reihe an Begegnungen, die ich auf dem Jakobsweg gemacht habe.
Für mich ist nach drei Urlauben auf dem Camino klar: Nicht Santiago de Compostela ist das Ziel. Auch der Weg ist nicht so richtig das Ziel. Die Begegnungen mit Menschen aus der ganzen Welt sind mein Ziel beim Wandern. Und heute lest ihr von einem ganz besonderen Menschen: Einem irischen Farmer, den das Ernten so sehr frustriert hat, dass er seine Arbeit aufgeben musste. Denn nach der Ernte ist ein Apfelbaum nur noch ein Baum. Traurig, oder?
Die Ernte: Der Frust des Farmers
Ich liebe Kartoffeln, sagt er: „I looooove potatoes“. Als könnte er in einem langgezogenen Oooo alle Kartoffeln dieser Welt einschließen. Als Kartoffelbrei, Pommes, in Sauce getränkt, zum Pellen, in der Auflaufform, zu Puffern geraspelt, schlicht mit Salz berieselt. In allen Variationen – schiebt er nach. Wie praktisch. Er ist Farmer. Und auf irischem Boden gedeiht die Knolle richtig gut. Das Pflänzchen wächst aus dem Acker, unter der Erde entsteht sie. Die Kartoffel, die nach der Ernte erst im Kochtopf, in der Pfanne, im Grill, im Ofen landet. Und dann endlich auf seiner Zunge.
Nach der Ernte? Wenn doch bloß die Ernte nicht wäre. Vielleicht würde er dann immer noch seinen Acker bestellen. Denn eigentlich liebt er nicht nur Kartoffeln. Sondern auch seinen Beruf. Eigentlich. „Nach der Ernte ist ein Apfelbaum nur noch ein Baum“, sagt er. Und schüttelt resigniert den gesenkten Kopf. Was soll ein Landwirt tun, der Pflanzen liebt, der sie groß zieht, sie vom Aufkeimen bis zur Reife begleitet, sich auf seinen Teller Bratkartoffeln freut – und der die Ernte dennoch verabscheut?
Wenn ein Apfelbaum nur noch ein Baum ist
Er schaukelt auf dem Barhocker hin und her und nippt an seinem Bier. Mahou. Cinco Estrellas. „Una cerveza más“, ruft er dem Barkeeper zu. Eigentlich dürfte er gar nicht hier sein. Wochenlang wandernd. Von Irún im Baskenland bis ins galizische Santiago de Compostela. Er, der irische Farmer, der mit 45 Jahren doch mitten im Berufsleben steht.
60 Hektar Land wollen bestellt werden. 200 Tiere – Schafe und Rinder – gefüttert, gemolken und auf die Weide geführt. Treiben musste er sie nie. Sie folgten ihm. Einfach so. Früher. Als er sieben Tage die Woche, rund um die Uhr Tiere versorgte, Salat pflanzte, Äpfel erntete. Aber die Ernte. Das ist so eine Sache.
„Ich liebe säen und pflanzen“, sagt er. Schaufelt mit bloßen Händen einen imaginären Haufen Erde aus der Luft und setzt mit Daumen und Zeigefinger einen unsichtbaren Samen hinein. „Ich liebe es, zu beobachten, wie die Pflanzen wachsen, größer werden, sich entwickeln. Aber nach der Ernte ist ein Apfelbaum nur noch ein Baum“, sagt er.
Zu viel Kreislauf
Er schüttelt resigniert den gesenkten Kopf. Wann ist ein Apfelbaum ein Apfelbaum? Wann ist ein Farmer ein Farmer? Warum muss sich ein Kreislauf immer schließen? Wieso kann das Leben, die Schönheit, die Frucht der Arbeit nicht ein einziges Mal verweilen? Aufstehen, pflanzen, Tiere füttern, schlafen, aufstehen, säen, Tiere füttern, schlafen, aufstehen, ernten, Tiere zum Schlachter führen, schlafen, aufstehen, verzweifeln.
Er weiß, dass die Ernte zu seinem Beruf gehört. Sein Einkommen sichert. Das Ziel seiner Arbeit ist. „Ich weiß auch nicht, warum ich nicht ernten will“, sagt er. Und nimmt einen Schluck Mahou. „Ich kann es mir ja nicht einmal selbst erklären. Wie soll ich es dann dir erklären?“
Nein. Eigentlich hätte dieser Farmer keine Zeit, wochenlang auf den Spuren des St. Jakob zu pilgern. Er tut es trotzdem. Und lächelt. Er hat den Kreislauf durchbrochen. Und bestellt ein neues Bier. Mahou. Cinco Estrellas – Fünf Sterne. Vor fünf Jahren hat er sein Vieh verkauft. Das Land verpachtet. Soll doch ein anderer die Kartoffeln ernten, die er so sehr liebt. Er lacht. Und fühlt sich endlich wieder so glücklich wie mit 19 Jahren. Als er die Farm von seinem Vater übernahm.
21 Jahre lang war er mit seiner Arbeit verheiratet. Doch was zuerst die große Liebe war, wurde irgendwann nur noch Verpflichtung. „Zwei Jahre lang war ich unglücklich“, beschreibt er die schmerzhafte Trennungsphase. Wann und wie die Liebe schwand, weiß er selbst nicht mehr genau. „Ich weiß nur noch, dass ich an einem 25. Januar alle meine Tiere verkauft habe“, sagt er. Verrückt, blöd, irre – Nachbarn, Bekannte, befreundete Farmer wussten sofort, wie sie seine Entscheidung fanden. Und beneiden ihn heute.
Glücklich im Kreislauf des Jakobswegs
Nein. Eigentlich hätte dieser Landwirt, der mit Mitte 40 mitten im Leben steht, keine Zeit, nur zu wandern, Lebensgeschichten auszutauschen und die spanische Sonne zu genießen. „Ich kann endlich tun, wozu ich nie Zeit hatte. Ich bin endlich wieder glücklich“, sagt er. Grinst. Und geht ins Bett. Morgen ist ein neuer Wandertag. Er seufzt zufrieden. Denn er hat sich neu verliebt. In den Kreislauf des Wanderns.
Buen Camino
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