Im Schweisse meines Angesichts stand ich auf der Apfelplantage und pflückte so schnell ich konnte. Die Konkurrenz stand nicht still, die Boskoop Reihe war schon beinahe abgeerntet. Ähnlich sah es bei den Zwetschgen aus. Ich hatte es ja schon immer geahnt, bei meinen Einkäufen im Supermarkt aber stets ignoriert: Erntehelfer ist ein harter Job.
Ich lese in Medien von ihnen und ihren Arbeitsbedingungen, ich sehe sie auf den Feldern in meinem Wohnort: Erntehelfer, zum Beispiel aus osteuropäischen Ländern, die – Glück für uns – bei sich zu Hause so wenig Geld verdienen, dass sie lieber nach Deutschland kommen, um Obst, Gemüse oder Getreide vom Feld zu holen.
Ich, Erntehelfer
Ich will ja wieder zurück zur Natur, zum Ursprung, zum Kreislauf des Lebens – und nicht bloß zurück in den Supermarkt, wo mich nur die Gewinner des EU-Gurkenkrümmungsgrad-Wettbewerbs angrinsen. Deshalb habe ich beschlossen, die Früchte für mein Pflaumenmus in diesem Jahr selbst zu ernten. Die Äpfel für den Kuchen und die Birnen für den Smoothie mit meinen eigenen Händen vom Baum zu pflücken.
So wie ich denken auch andere. Vor allem Familien, deren kleine Kinder mal sehen sollen, woher ihr Essen wirklich kommt. Aufgesetzt freundlich lächeln wir uns an und stopfen uns dabei die Taschen mit den schönsten Äpfeln voll – auf dass uns niemand zuvorkomme.
Am Ende hat eigentlich keine von uns konkurrierenden Familien auf dem Obstfeld gewonnen, sondern der Bauer, der sich freut, dass es ein paar Blödmenschen gibt, die freiwillig Erntehelfer spielen und auch noch Geld dafür bezahlen. Aber das ist mir egal. Ich habe geerntet und kann deshalb in diesem Jahr mit extra gutem Gewissen Erntedankfest feiern.
Meine Kusine zeigt, wie es wirklich läuft
Bei meiner Jagd nach den besten Äpfeln musste ich übrigens immer wieder an meine Kusine denken, die dieses Jahr wirklich als Erntehelferin gearbeitet hat. Meine Gluten-intolerante Kusine Claudia hat den ganzen Sommer lang Getreide auf einem Bauernhof geerntet, um ihren Kontostand aufzubessern. Und sie ist nicht einfach an einem Tag für eineinhalb Stunden aufs Feld gegangen, um danach Apfelkuchen zu backen, so wie ich.
Sie hat wochenlang jeden Tag neun Stunden geackert, haha Wortspiel-Alarm. Dabei hat sie nicht mit anderen Mamas nach den schönsten Zwetschgen gesucht, sondern von der Realität geohrfeigte Menschen aus aller Welt kennengelernt: Adi und Adi aus Rumänien, Olga aus Russland und irgendeinen anderen Typen aus Lettland.
Obwohl sie nicht aus prekären Verhältnissen stammt und ihre Homebase nicht in Osteuropa liegt, war Claudia irgendwie doch eine typische Erntehelferin auf einem deutschen Bauernhof: Meine Kusine ist in Canada geboren und aufgewachsen, der Ferienjob auf dem Bauernhof war Teil ihres einjährigen Deutschland-Aufenthalts. Soll heißen: Claudia ist nicht die typische Deutsche, die wirklich jeden Job machen würde – außer Erntehelfer spielen.
Adi, Adi und Claudia
Mal ehrlich: Ich habe in meinem Leben schon so einige Nebenjobs gehabt. Von Babysitting über Brötchen verkaufen, vom Kellnern bis zur studentischen Hilfskraft an der Uni war so einiges dabei. Aber Getreide ernten? Äpfel pflücken? Sowas ist cool, wenn man es beim Work and Travel in Australien macht! Aber daheim in good old Germany? Das sollen mal Adi und Adi machen.
Trotzdem war ich immer schon neugierig und wollte wissen, wie Adi & Kollegen wirklich für uns schuften, was sie ertragen müssen, wie es ihnen geht, ob mit ihnen fair umgegangen wird. Aber wer macht sich schon die Mühe, mal wochenlang hinter die Kulissen zu schauen? Kürzlich habe ich diesen spannenden Artikel in der Basler TagesWoche über die Kirschernte mithilfe ausländischer Erntehelfer gefunden. Aber eigentlich steht da kaum Substanzielles drin. Welcher Journalist recherchiert schon wochenlang auf dem Erntefeld, um wirklich zeigen zu können, wie es den Menschen geht?
Meine Kusine hat es getan! Und auf ihrem wundervollen Blog erzählt sie uns Geschichten von Adi, Adi & Co., die wir alle kennen sollten, wenn wir an Erntedank wirklich dankbar sein wollen.
Danke Claudia, Adi und Adi für unser täglich Brot! Vielleicht sollte ich euch einen Zwetschgenkuchen backen – mit eigens geernteten Zwetschgen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass er ein wenig salzig ist. Denn ich habe die Früchte im triefenden Schweisse meines Angesichts geerntet! Denn Erntehelfer ist ein harter Job…
2 Comments
Claudia Dueck
24. September 2018 at 19:00Danke Eva! Du hast es erfasst!
evamell
26. September 2018 at 22:49Und du hast es gemacht! Hut ab!