Familie

Das Ich Bewusstsein: Vom Ich zum Wir-Tier mit meinem Kind

Mama und Kind bilden zunächst ein festes Team. Erst allmählich bekommt das Kind ein Ich Bewusstsein.

Hand aufs Herz: Wer von euch schon Kinder hat, wird mich verstehen. Wer von euch noch keine Kinder hat, wird mindestens den Kopf über mich schütteln, vielleicht sogar lachen oder auch übermutig sagen: „Sowas werde ich niemals tun, wenn ich Kinder habe.“ Ja, was denn überhaupt? Na, die psychologische Weiter- (oder vielleicht Rück-?) Entwicklung vom Individuum zum Wir-Tier, weg vom Ich Bewusstsein hin zum kollektiv sein.

Hä? Na gut, ein paar Beispiele aus den täglichen Konversationen mit meiner Eineinhalbjährigen will ich euch nicht vorenthalten. 1) „Haben wir etwa Hunger?“ Ich habe tatsächlich keinen Hunger, aber das Kind quengelt und stammelt: „nger. nger.“ 2) „Ja ist denn das zu fassen? Haben wir schon wieder Kacki in der Windel?“ Entwarnung: Ich selbst trage keine Windel und bin seit mehreren Jahren stubenrein. 3) „Jetzt wollen wir aber mal schlafen.“ Ein besonders kniffliger Satz. Ich will wirklich nicht schlafen. Ich will aber unbedingt, dass das Kind schläft. Das Kind will aber nicht schlafen und es will auch nicht, dass die Mama schläft. Hä? Genau.

Ja, es ist wahr! Ich habe noch eine Sache gefunden, die ich vor der Aufzucht des Nachwuchses niemals tun wollte: Zum Wir-Tier werden! Wenn selbst auf sprachlicher Ebene keine Individualität mehr herrscht, scheint sich das Leben tatsächlich in ungeahnte Bahnen zu entwickeln. Aber was passiert da eigentlich?

Aufmerksame Leser dieses Blogs wissen, dass ich ab und zu gerne mal Star Trek gucke. Weil die Serie nämlich die menschliche Psyche auf erstaunliche Weise unter die Lupe nimmt.

Ich Bewusstsein oder kollektiv sein?

Als ich so nachsann über meine unwillkürliche Verwandlung zum Wir-Tier, fragte ich mich plötzlich und leicht erschüttert: Wo ist unser Ich Bewusstsein? Sind wir Borg? Diese Gruppe technisch aufgerüsteter Organismen – oder auch Cyborgs – im Star Trek Universum stellt ein unverwüstliches Kollektiv dar, das sich im ganzen Universum ausbreiten und alles assimilieren will, was sich noch für ein Individuum hält. Bei Wikipedia steht: „Die Identifikation der Mitglieder mit dem Kollektiv ist total.“

Boah, wenn das mal keine gelungene Beschreibung für die Kommunikation zwischen meiner Tochter und mir ist. Zwischen den Mitgliedern des Borg-Netzwerks gibt es eine gemeinsame Kommunikationsmöglichkeit, die vor allem dazu dient, Instruktionen der Königin zu empfangen. Naja, wenn ich mir unsere Kommunikation so anschaue, bin zumindest vorerst noch ich die Königin.

Das Kind und der Spiegeltest

Aber gut, verlassen wir das Star Trek Universum lieber wieder. Ein von dieser Welt völlig weggebeamter Trekkie bin ich schließlich nicht. Tatsächlich gibt es noch andere Erklärungen für das Fehlen von „ich“ und „du“ in der Eltern-Kind-Beziehung. Damit jemand vom „ich“ und vom „du“ sprechen kann, braucht er – oder sie – natürlich erstmal die Erkenntnis, ein Individuum zu sein. Und zwingend die Erkenntnis, dass auch das Gegenüber ein Individuum ist, dessen Einschätzungen, Gefühle oder Wahrnehmungen von den eigenen abweichen können. Mit ungefähr eineinhalb Jahren beginnen Kinder zu erkennen, dass ihr Spiegelbild nicht ein anderes Kind zeigt – sondern das eigene Antlitz.

Bis das Kind aber zu einer Selbsterkenntnis, zu einem Ich Bewusstsein, gelangt und versteht, dass die eigene Wahrnehmung anders sein kann als die des Mitmenschen, vergeht noch eine Weile. In dieser Power Point Präsentation findet ihr einige wichtige Grundlagen zur frühkindlichen Entwicklung auf dem Weg zum Ich-Bewusstsein.

Mit etwa drei Jahren kann ein Kind laut diesem Artikel sprachlich seine individuellen Gedanken und Wünsche ausdrücken, indem es nämlich Sätze mit Worten wie „Ich denke,…“ einleiten kann.

Widerstand ist zwecklos

Und was sagt mir das alles? In der frühesten Kindheit begreift sich der Nachwuchs noch als eine Einheit mit der stillenden Mama oder dem fürsorgenden Vater. Nach und nach begreift das Kind jedoch: Ich bin ja gar kein Borg! Ich bin ein Ich! Aber da ist es für die Mama schon zu spät. Die Borg assimilieren ihr Gegenüber gerne mit den vernichtenden Worten „Resistance is futile – Widerstand ist zwecklos!“ So hat es mein Zwerg wohl auch in den ersten Monaten der engsten Verbundenheit durch unsichtbare Gehirnwäsche mit mir gemacht.

So eine Wir-Tier-Verwandlung ist kaum mehr rückgängig zu machen, sage ich euch. Auch wenn ich mal nur zu zweit mit meinem Mann ins Kino gehe, den ganzen Tag kinderlos im Büro sitze oder allein mit einer Freundin Kaffee trinke – die Sprache des Kollektivs hat sich mir eingebrannt wie die Technik in die Gesichter der Borgs. „Heute gehen wir wieder in die Kinderkrippe“, habe ich meiner Tochter kürzlich gesagt, bevor ich ins Büro gefahren und sie in die Krippengruppe gegangen ist. Und später werde ich beim Wickeln sagen: „Jetzt werden wir dir mal den Popo abwischen.“ Mist. In dem Fall ist das „wir“ ausschließlich ein „ich“.

Sie ist die süßeste Borg

Aber es macht ja nichts. Mein symbiotisches Töchterlein ist nämlich mein Lieblings-Borg. Da übernehme ich solche beschissenen Aufgaben natürlich gerne.

Um es mit Jean-Luc Picards Worten zu sagen: Sie ist die süßeste Borg. Mal ehrlich: Der sagt doch, I am the cutest of Borg, oder? 😉

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Das Ich Bewusstsein: Vom Ich zum Wir-Tier mit meinem Kind
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