Dieser Tage stellt sich mir wieder eine fürchterliche Gewissensfrage: Fussball-WM anschauen ja oder nein? Mein Mann und ich befinden uns seit Wochen im Zwist darüber. Er ist dagegen, ich dafür. Er will die Weltmeisterschaft boykottieren, weil sie in Russland stattfindet. Ihr wisst schon: Da regiert Putin, da wird die Opposition unterdrückt, da hat man es nicht so mit Menschenrechten, da wird im grossen Stil gedopt und so weiter.
Ich will die Fußball WM sehen
Ich will trotzdem zuschauen! Denn die WM ist für mich das Ereignis, das die Welt verbindet. Auf allen Kontinenten, jubeln, trauern, lachen und weinen die Menschen, wenn ihre Teams Tore schießen, Tore kassieren, gewinnen oder verlieren. Die WM bringt uns alle näher zusammen. Natürlich gibt es so einige Ganoven, die aus dieser Art der Völkerverständigung viel zu viel Profit schlagen. Ganz zu schweigen von den mehr als miserable Bedingungen beim Bau von Stadien und so weiter.
Aber soll ich deswegen wegschauen? Soll ich mich vom Zusammengehörigkeitsgefühl mit Menschen auf der ganzen Welt verabschieden? Alleine in meinem Kämmerchen sitzen, Russland verfluchen und hoffen, dass alle mitmachen? Dann würden wir alle zusammen allein zu Hause sitzen und könnten uns dadurch verbunden fühlen. Aber das ist eine Perspektive, die sich dann doch zu wenig von meinem Alltag unterscheidet. Alle paar Jahre darf es doch mal der gemeinsame Fokus auf ein Turnier sein, dem sich alle verbunden fühlen, oder?
Ja ja, ich weiß, es gibt jede Menge Gründe gegen die WM und nur manche dafür. Mein Mann hat sich inzwischen übrigens entschieden, einfach nur die Russland-Spiele zu meiden. Und ich habe noch gar nichts gesehen, weil mir die Zeit gefehlt hat! So viel zum Zusammengehörigkeitsgefühl.
Inspirierende Interviews zur Fußball WM
Allen Unentschlossenen empfehle ich dieses Interview mit dem Autor Wladimir Kaminer, der im Übrigen der Meinung ist, dass die Russen den Deutschen die Daumen drücken werden, wenn sie ausscheiden. Ist das nicht nett von den Russen? So viel Verständnis zwischen Russland und Deutschland gab es doch in letzter Zeit selten!
Auch sehr inspirierend ist das Deutschlandfunk-Interview mit dem Philosoph Wolfram Eilenberger . Er bezeichnet den Fußball als eine Art „Rationalitätsloch im Herzen unserer Gesellschaft“. Er gibt uns das Okay, die ganzen negativen Schlagzeilen auszublenden und uns einfach nur auf die Fußball WM zu freuen. Optimal!
Schlechtes Gewissen: Check!
Ich werde mir natürlich Mühe zu geben, mich nicht zu kindlich naiv zu freuen. Ein wenig schlechtes Gewissen ist Muss. Vielleicht werde ich mich damit bestrafen, während Fußball WM Spielen russische Bonbons zu essen. Die sind nämlich ganz fürchterlich.
Ich könnte mir auch vorstellen, mich nach dem Spielvergnügen mit russischer Popmusik zu foltern. Der ukrainische Sänger Vitas ist zum Beispiel eine echter Star in Russland und macht Musik, die zum Fürchten ist.
Und damit wenigstens die kulinarische Perspektive gerettet ist, könnte ich mir zu den Spielen veganes russisches Essen servieren. Die Bloggerin Veganuschka hat auf ihrem Blog viele inspirierende vegane Rezepte. Ich finde das cool. Die vielen russischen Nachbarn in meinem Haus würden beim Anblick der fleischlosen Interpretation der russischen Küche aber wahrscheinlich in Panik verfallen.
Da sieht man mal wieder: Folter ist, was du draus machst. Was ist schon richtig, was falsch und darf ich jetzt wirklich die Fußball WM anschauen oder nicht? Egal wofür ihr euch entscheidet, ich würde sagen: Hauptsache, ihr meint es gut!
No Comments