Rezensionen

Wut: Julia Ebner weiß, was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen

Julia Ebner analysiert, wie Rechtsextreme und Islamisten unsere Gesellschaften verändern.
  • Die Extremismusforscherin Julia Ebner zeigt: Ohne Islamisten hätten Rechtsextreme nicht solch einen großen Zulauf in Europa und ohne Rechtsextreme wären Islamisten nicht so erfolgreich wie sie sind.
  • Rechtsextreme und islamistische Anschläge nehmen zur selben Zeit zu (Grafik).
  • Europa befindet sich nicht in einer Flüchtlingskrise, sondern die Migranten sind mit einer Krise Europas konfrontiert.
  • Drei Fragen an die Autorin am Ende des Beitrags.

Brutale neue Welt

Brüssel, Paris, Nizza, Berlin, London, Barcelona – erinnert ihr euch noch? Die Städte waren in den vergangenen Jahren Ziele terroristischer Anschläge. Und was ist sonst noch passiert? Donald Trump wurde Präsident der USA, die AfD zog in den Bundestag ein, in Frankreich wurden Burkinis verboten und Marine LePen wurde mit ihrem Front National immer populärer. In was für einer Welt leben wir eigentlich?

Ich konnte in den vergangenen Jahren so oft meinen Augen und Ohren nicht trauen, wenn wieder mal Terroranschläge oder für mich unglaublich erscheinende Wahlausgänge publik wurden. Nun habe ich ein Buch gelesen, das mir einen erhellenden Blick auf die dunkel wirkende Seite der Welt gibt. Es heisst „Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen“. Geschrieben hat es die erst 26-jährige Julia Ebner, eine Österreicherin, die als Extremismusforscherin in London arbeitet.

Julia Ebner unter Extremisten

Sie beschreibt sehr eindrücklich, dass Islamisten und Rechtsextreme sich gegenseitig hochschaukeln – und beide Seiten nur deshalb so erfolgreich sind, weil es die andere Seite gibt. Julia Ebner verdeutlicht das mit einem schönen Star-Wars-Vergleich: „Ob man in Star Wars auf der hellen oder der dunklen Seite steht, ändert im Prinzip nichts an der Geschichte; das einzige, was sich ändert, ist die Perspektive. Dasselbe gilt für Rechtsextremisten und islamistische Extremisten – sie agieren in demselben Film, verstärken dadurch dieselbe Geschichte und helfen einander auf diese Weise als Geschichtenerzähler. Während islamistische Extremisten uns erzählen, ‚dass der Westen sich im Krieg mit dem Islam befindet’, erzählt uns die extreme Rechte, dass ‚der Islam sich im Krieg mit dem Westen befindet.’“

Julia Ebner erklärt diese Dynamik folgendermaßen: „In einer immer komplexeren Welt können Schwarz-Weiß-Narrative, die sämtliche verwirrenden Grauzonen eliminieren, tröstlich und beruhigend sein.“

Wir wissen es ja alle: In Wirklichkeit ist die Welt nicht schwarz-weiß. Sie ist bunt, sie hat Schattierungen, es braucht manchmal Anstrengungen, um sie zu durchschauen. Warum aber schafft es die Mitte, auch eher abwertend als „das Establishment“ bekannt, es nicht, die Menschen mit einem bunten Bild der Welt zu überzeugen?

Warum das Establishment versagt

Julia Ebner macht auf ein zentrales Problem aufmerksam: „Die Narrative des sogenannten Establishments andererseits sind keineswegs stimmig, was Extremisten auf allen Seiten des politischen Spektrums zugutekommt. Die Kluft zwischen seinen Worten und Taten ist in den westlichen Ländern immer breiter geworden, da es als Reaktion auf die heutigen terroristischen Bedrohungen rigoros gegen Bürgerrechte vorgeht.“ Julia Ebner wird sehr deutlich, wenn sie anschließend sagt, dass „Frankreichs Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit allmählich wie ein schlechter Witz“ klingen.

Rechtsextremisten und Islamisten teilen nach Julia Ebners Recherchen dasselbe Weltbild, nehmen aber jeweils entgegengesetzte Blickwinkel ein. Um das zu belegen, hat sie undercover in extremistischen Kreisen recherchiert und zum Beispiel social media Posts beider Seiten ausgewertet.

Ein Twitter Post, den sie zitiert, zeigt besonders eindrücklich, dass Rechte wissen, wie sehr sie Islamisten brauchen, um in Europa Wähler zu finden. Jack Buckby, Pressesprecher der rechtsextremen Partei Liberty GB twitterte nämlich in Bezug auf die Wahl in den Niederlanden 2017: „Wählerbefragungen deuten auf eine Linkskoalition in den Niederlanden hin. Schrecklicher Gedanke, aber jetzt können nur Terroranschläge die Niederlande retten. Wacht auf“.

Anschläge von Rechtsextremen und Islamisten

Dass Rechtsextreme und Islamisten in ständiger Wechselwirkung zueinander stehen, zeigen auch Statistiken. Julia Ebner hat aus den Daten der Global Database on Terrorism eine eindrucksvolle Grafik angefertigt, die zeigt, dass rechtsextremistische und islamistische Anschläge nicht isoliert betrachtet werden können. Sie belegt an dieser Stelle, dass rechtsextreme und islamistische Terroranschläge in der Regel zur selben Zeit stark zunehmen. Ausgewertet hat sie terroristische Anschläge zwischen Januar 2012 und September 2016 in den USA, Australien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

Die Extremismusforscherin Julia Ebner hat eine aussagekräftige Grafik über rechtsextreme und islamistische Anschläge erstellt.

Julia Ebners Grafik aus Daten der Global Database on Terrorism zeigt: Rechtsextreme und islamistische Anschläge nehmen zu denselben Zeitpunkten zu. Grafik: Julia Ebner/GDT

In Deutschland übrigens zählte das Bundesinnenministerium laut Julia Ebner im Jahr 2016 113 Brandstiftungen, 10 Sprengstoffanschläge und 1313 Körperverletzungen „mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund.“

Die Krise Europas

Aber kann man den Erfolg der Rechtsextremen in Europa darauf reduzieren, dass Islamisten existieren? Die Dinge sind mal wieder nicht schwarz-weiß, sondern komplizierter. Julia Ebner sieht einen wichtigen Grund in der Erstarkung rechter Parteien in der Finanzkrise von 2008: „Im Laufe der vergangenen 140 Jahre konnten rechtsextreme Parteien ihren Stimmenanteil nach einer Finanzkrise jedes Mal im Schnitt um 30 Prozent erhöhen.“

Und weiter: „Die Finanzkrise von 2008 enthüllte die Schattenseiten der Globalisierung und die Vernetzung der Volkswirtschaften überall auf der Welt. Doch viele Europäer und Amerikaner machen die kulturelle Globalisierung für die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung verantwortlich. Für sie besteht die Lösung logischerweise in einer Rückkehr zum Nationalismus und nicht in einer Veränderung im Wirtschaftssystem. Irgendwie geben Immigranten bessere Sündenböcke ab als Banker.“

Julia Ebner argumentiert, die Europäer seien schon vor der Ankunft der vielen Flüchtlinge, die besonders seit 2015 nach Europa kommen, in einer Identitätskrise gewesen. Sie zitiert Natalie Nougayède, frühere Chefredakteurin der französischen Zeitung Le Monde mit den Worten, dass „eigentlich nicht Europa mit einer Flüchtlings- und Migrantenkrise konfrontiert ist. Es sind die Flüchtlinge und Migranten, die mit einer Krise Europas konfrontiert sind.“

Was tun gegen Extremismus?

Und wie lösen wir das Problem? Der Hauptteil des Buchs von Julia Ebner liegt auf der Analyse der gegenwärtigen Situation. Das Kapitel über Lösungsvorschläge nimmt vergleichsweise wenig Raum ein. Das spricht aber nicht gegen die junge Forscherin. Sie will sich im Gegensatz zu anderen nicht anmaßen, einfache Lösungen für komplexe Probleme vorzuschlagen. Sie tritt aber immerhin dafür ein, einander zuzuhören und auch mit Andersdenkenden in Kontakt zu bleiben.

Und sie schlägt vor, Immigranten nicht mehr als Sündenböcke für die Probleme in unserer Gesellschaft anzusehen: „Gemeinsame Probleme haben wir mehr als genug – Klimawandel, Umweltzerstörung, Armut, Hunger, um nur einige wenige zu nennen –, und sie werden international abgestimmte Anstrengungen erfordern. Menschliche Gegenspieler durch abstrakte zu ersetzen, mag die grösste Herausforderung, aber auch die grösste Chance des 21. Jahrhunderts sein.“

Für mich ist nach der Lektüre ihres Buchs deutlich geworden: Ich habe die Wahl! Will ich die Welt in schwarz-weiß sehen oder will ich mich dafür einsetzen, dass das Bild zwar komplex, aber dafür auch bunt bleibt?

Wut: Julia Ebner schreibt über Extremismus.

Drei Fragen an Julia Ebner

Die 26-jährige Julia Ebner hat für ihr Buch zwei Jahre lang recherchiert – auch undercover in extremistischen Kreisen. Wie sie sich von der Wut distanziert, mit der sie konfrontiert wird – weshalb sie sich dafür Risiken aussetzt.

Julia, du recherchierst für deine Arbeit zum Teil undercover unter Extremisten. Das klingt spannend, aber auch riskant. Warum tust du das?

Es ist wirklich ein riskantes Feld. Im Moment habe ich vielleicht das Gehalt von einem Kellner, die Stunden von einem Bänker und das Risiko von einem Geheimagenten. Besonders attraktiv erscheint das Berufsfeld vielen Menschen nicht. Aber es fasziniert mich. Ich habe das Gefühl, dass ich zumindest im Kleinen Veränderungen wahrnehme.

Dein Buch trägt den Titel „Wut“. Bei deinen Recherchen unter Extremisten bist du umgeben von Menschen, die Wut gegenüber anderen verspüren. Wie distanzierst du dich davon?

Das Seltsame ist, dass man innerhalb der Gruppen unter den Mitgliedern gar nicht unbedingt Wut spürt. Alle haben einfach dieses Feindbild nach außen. Ich versuche, mich komplett von ihrer Wut auf andere zu distanzieren, indem ich zum Ausgleich etwas ganz anderes mache, mich nicht ständig mit Neonazi- und islamistischer Propaganda umgebe, damit diese Wut nicht immer präsent ist. Es hilft aber auch, im britischen Kontext zu arbeiten. Der schwarze Humor schafft eine gute Distanz zu diesen düsteren Themen.

Dein Kapitel über den Weg unserer Gesellschaft aus dem Kreislauf der Wut heraus ist eher kurz ausgefallen. Warum?

Ich wollte mir nicht anmaßen, für das hochkomplexe Problem die ultimative Lösung zu haben. Ich habe versucht, auf Basis meiner Gespräche mit Aussteigern zu argumentieren und den einzelnen Geschichten viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ein Teil der Lösung besteht ja auch darin, zu verstehen, wie diese Erfolgsgeschichten passieren, wie sich jemand komplett abwenden kann. Einerseits müssen immer wieder Interventionsprogramme entwickelt werden. Aber ich glaube, dass man andererseits auch schon früher ansetzen müsste, dass sich im Erziehungsbereich viel ändern müsste.

Julia Ebner ist Extremismusforscherin und lebt in London.

Das ist Julia Ebner

Julia Ebner ist 26 Jahre alt und hat einen Double Degree Master an der Peking University (Internationale Beziehungen) und der London School of Economics (Internationale Geschichte). Ihre Abschlussarbeit hat sie über Selbstmordattentäterinnen geschrieben. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst für den antiislamistischen Think-Tank Quilliam in London, seit einigen Monaten arbeitet sie beim Institute for Strategic Dialogue in London.

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Wut: Julia Ebner weiß, was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen
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1 Comment

  • Reply
    Gerd Soldierer
    10. April 2018 at 01:15

    An Frau Ebner : Haben Sie Kinder? Kennen die schon den Märtyrer ? Wollen Sie schon in den Dscihad ?
    Ist nicht so schlimm wegen der „Antriebsschäche“, der physische Dschihad kommt früh genug !
    Dann sind Sie sich selbst u. rechtzeitig Ihren Sohn los, verheizt wegen des Paradies, in Nähe des Allah’s absitzen zu dürfen, ist doch alles wichtig – da kann man doch über ein paar Leichen wandeln, ist belebend für’s Fortkommen.

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